Berlin, 02. November 2017 –
Mehr Flexibilität – so lautet aktuell das Credo, wenn es um Arbeitszeiten geht. Wie flexible Arbeitszeiten gestaltet werden und wem sie nutzen, kann in der Praxis jedoch sehr unterschiedlich aussehen. Das ist das Ergebnis einer Analyse der Arbeitsmarktforscher Hermann Groß und Hartmut Seifert auf Basis von knapp 600 Betriebsvereinbarungen.
Die Grundidee von Arbeitszeitkonten ist einfach: Wenn Beschäftigte länger arbeiten als vereinbart, sammelt sich auf ihrem Konto ein Zeitguthaben, arbeiten sie kürzer, entstehen Zeitschulden. Ob davon eher die Arbeitnehmer oder die Arbeitgeber profitieren, entscheide sich „erst im betrieblichen Alltag“, schreiben die Wissenschaftler.
Die Auswertung macht deutlich, welche Ziele die Betriebe mit der Einführung von Arbeitszeitkonten verfolgen: meistens mehrere zugleich. In 98 Prozent aller Vereinbarungen zu Arbeitszeitkonten wird auf betriebliche Anforderungen verwiesen. Das heißt: Arbeitszeiten sollen sich etwa nach den Anforderungen der Arbeitsabläufe oder den Bedürfnissen von Kunden richten. Gleichzeitig sollen etwa 73 Prozent der Vereinbarungen den Beschäftigten mehr Autonomie bei der Arbeitszeit ermöglichen. In gut einem Drittel der Betriebsvereinbarungen wird Beschäftigungssicherung als Ziel genannt.
Das Mindestlohngesetzt ermöglicht es, Überstunden in ein schriftlich vereinbartes Arbeitszeitkonto einzustellen. „Diese Arbeitsstunden sind dann spätestens innerhalb von 12 Kalendermonaten nach ihrer monatlichen Erfassung durch bezahlte Freizeitgewährung oder Zahlung des Mindestlohns auszugleichen“, so der Arbeitsrechts-Experte Patrick Mückl von der Kanzlei Noerr. Das funktioniert wie ein Sparbuch: Arbeitszeit, die über die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit hinausgeht, auf dem Konto gutgeschrieben werden. Umgekehrt wird etwas vom Zeitguthaben entnommen, wenn die Beschäftigten weniger arbeiten, als vertraglich vereinbart. Für die Zeit, die in das Konto fließt, wird kein Lohn oder Überstundenzuschlag bezahlt. Allerdings sind Arbeitgeber verpflichtet, dies genau zu überwachen: „Für die Praxis bedeutet dies, dass jeweils zu ermitteln ist, ob das tatsächlich gezahlte und nach dem MiLoG anrechenbare Bruttomonatseinkommen im Hinblick auf die vom Arbeitnehmer tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden mindestens den gesetzlichen Mindestlohnanspruch erfüllt. Wer sicher gehen will, richtet zu diesem Zweck eine „doppelte Buchführung“ ein, anhand der geprüft und – gegenüber dem Zoll – nachgewiesen werden kann, dass die Vorgaben des MiLoG eingehalten sind“, so Arbeitsrechtler Mückl. Entsprechende Excel-Vorlagen sind dazu kostenfrei verfügbar.
Neben der Gleitzeit ist ein Jahresarbeitszeitkonto ein kluges Steuerungsinstrument gerade für die nötige flexible Diensteinteilung im Gastgewerbe. Dass auch zu Nachtzeiten und Wochenendschichten der Mindestlohn gilt, stellte jüngst das Bundesarbeitsgericht klar (Urteil vom 20. September 2017 – 10 AZR 171/16). Bei Saisonbetrieben in Urlaubsgebieten kommt es darauf an, den Ausgleichszeitraum klug zu wählen: „Wo etwa, wie z.B. in der Reisebranche in den Sommermonaten Mai, Juni, Juli und August, höhere Arbeitszeiten anfallen, erscheint es sinnvoll, einen zwölfmonatigen Ausgleichszeitraum beginnend im Mai bis zum April des darauffolgenden Jahres festzulegen“, so Anwalt Mückl.
Flexible Arbeitszeitmodelle wie Gleitzeit oder ein Arbeitszeitkonto sorgen bei 50 Prozent für mehr Arbeitsmotivation, ergab eine Umfrage von Manpower. Gearbeitet werden soll, wie die Arbeit anfällt. Der Dehoga schlägt in einer Kampagne vor, das Arbeitszeitgesetz von einer täglichen auf eine wöchentliche Höchstarbeitszeit umzustellen. So könnten Arbeitszeiten individueller und flexibler auf die Wochentage aufgeteilt werden. Man fordere „KEINE Verlängerung der Gesamtarbeitszeit“, wird ausdrücklich betont. Volljährige Mitarbeiter sollen der Mehrarbeit in jedem Einzelfall schriftlich zustimmen, Jugendliche und Azubis von Mehrarbeit generell ausgeschlossen sein, so die Forderung.